Zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Wolfgang Steinitz

(*28.2.1905 – †21.4.1967)

Nach dem schrecklichen Krieg der Nationalsozialisten gegen die europäischen Völker suchten alle neu zugelassenen Parteien nach demokratische Grundlagen für das Umdenken der Deutschen, auch in ihren Beziehungen zu anderen Völkern. Die Unkenntnis und Fehlurteile in Deutschland über die geschichtlichen Entwicklungswege und die kulturellen Leistungen der osteuropäischen Völker waren besonders verheerend. Die verbreitete Ignoranz und anmaßende Überheblichkeit gegenüber Juden und Slawen war eine der Ursachen dafür gewesen, dass die Nationalsozialisten im Krieg und während der deutschen Besatzung so viele Deutsche in ihre Verbrechen hineinziehen konnten.

Wolfgang Steinitz hatte 1934 – 37 als Finno – Ugrist und Ethnologe den kleinen Völkern der Chanten und Mansen am Ob bei der wissenschaftlichen Erfassung ihrer Sprache und ihrer kulturellen Emanzipation geholfen. Sein wissenschaftliches Werk hat einen festen Platz in ihrer heutigen Erinnerungskultur, wie die neuesten Forschungen bestätigen. Übrigens wurde das im gemeinsamen Berliner Symposium unserer Gesellschaft mit der DAMU im Jahre 2000 auch für unsere Mitglieder unmittelbar erlebbar.

Als Steinitz 1946 aus der Emigration in Schweden zurückkam, gab es nur sehr wenige, die eine wissenschaftlich so fundierte Kompetenz über die geschichtliche Kultur der Völker Russlands wie er aufweisen konnten. Sein noch in der schwedischen Emigration verfasstes Volkslehrbuch der russischen Sprache, das 10 Auflagen erlebte, war ein Lehrbuch der Freundschaft.

Nachdem sich 1946/47 in den Ländern der Sowjetischen Besatzungszone Studiengruppen, Arbeitskreise und Ortsgruppen gebildet hatten, wurde am 30.06.1947 die „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion“ gegründet, aus der 1949 die „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ hervorging.

Am 5. September 1947 wurde die „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion Großberlin“ gegründet, deren Vorsitz Prof. Dr. Wolfgang Steinitz übernahm. Ende November erhielt sie von der Alliierten Kommandantur die Zulassung für ganz Berlin. Sie wurde in der Vier – Sektoren – Stadt unter komplizierten Bedingungen mit wachsender Mitgliederzahl und vielen Veranstaltungen, entgegen heftigen Anfeindungen, für die Verständigung und Freundschaft mit der Sowjetunion und ihren Bürgern wirksam.

Im November 1947 erschien das erste Heft der Zeitschrift „Die neue Gesellschaft“ als Organ der Studiengesellschaft. In seinem Beitrag „Über den Versuch eines eisernen Vorhanges vor der Geschichte Russlands“ kritisierte Wolfgang Steinitz damals, dass in der Vergangenheit unter Leitbegriffen wie „die abendländische Kultur“, „die atlantische Kultur“, „Grundwerte der europäischen Kultur“ die russische Kultur, Russland überhaupt und eben auch die Sowjetunion als „grundsätzlicher Gegensatz“ zur Weltkultur hingestellt worden waren.

Wolfgang Steinitz informierte die deutsche Öffentlichkeit unermüdlich über die Wissenschaftskultur der damaligen Sowjetunion. Ab Juni 1948 gab er im Auftrag der Gesellschaft  zusammen mit Jürgen Kuczynski  die Zeitschrift „Sowjetwissenschaft“ heraus, die über neueste Forschungsergebnisse in der Sowjetunion berichtete. Ungeachtet seiner angegriffenen Gesundheit gewann er mit wissenschaftlichen Leistungen von Weltrang – seinen „Ostjakologischen Arbeiten“, der Edition „Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“ u.a. – und eben auch mit seinem aufopferungsvollen Engagement in der Freundschaftsgesellschaft viele treue Freunde der Völker Russlands. 

Roland Köhler

15.02.2005

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