Für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit

Für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit

Liebe Freunde,

gestatten sie mir, durch ihre Zeitung Dankbarkeit und tiefes Gefühl der Befriedigung über ihre Entscheidung auszudrücken, dass Sie den 22. Juni – den 60. Jahrestag des tragischen Ereignisses in der Geschichte unserer beiden Völker    mit speziellen Begegnungen von Vertretern der gesellschaftlichen Öffentlichkeit beider Staaten begehen.

Ich gehöre zu der Generation, die gezwungen war, mit der Waffe in der Hand das eigene Land gegen den Überfall der Nazis zu verteidigen. Und mit Berechtigung kann ich mich als „Zeitzeuge“ bezeichnen – beginnend vom Tag des Einfalls der Armee Hitlers bis zum 2.Mai 1945, den ich in Berlin erlebte, in der Friedrichstraße.

Im Verlauf dieser vier Jahre starben vor meine Augen viele Menschen, zogen Kolonnen von Flüchtlingen an mir vorbei (unter ihnen meine Eltern und meine Schwester, Flüchtlinge aus dem Gebiet Brjansk), verwandelten sich russische, polnische und deutsche Städte in Ruinen. Keine Statistik kann das persönliche Leid und die Verzweiflung jeder Familie ausdrücken, die  nahe Angehörigen verlor oder als Invaliden zurückkehren sah. 

In der überlieferten Geschichte der Menschheit gab es niemals vorher ein Unheil derartigen Ausmaßes. Die Zeitgenossen verlassen allmählich, aber immer schneller, die historische Bühne; in meinem Land blieben von den aktiven Kriegsteilnehmern weniger als 1 % übrig.

Heute ist es sehr wichtig, wie ich meine, dass wir, Menschen aus Russland und Deutschland, nicht nur die Jugend daran erinnern, was der Krieg für ein Grauen war, sondern auch gemeinsam darüber nachdenken, welchen Frieden wir ihnen bieten, dass wir freundschaftlich und konstruktiv über die Gegenwart und die Zukunft diskutieren.

In meiner Eigenschaft als Gastprofessor an den Universitäten in Berlin und Bonn, als Sekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR), weilte ich oft nach dem Krieg in Deutschland. Sogar früher, während der Kriegsjahre, fühlte ich keinen Hass gegen Deutsche. Mehr noch, ich begriff, dass auch in Deutschland unsere überzeugten Freunde und Verbündeten wirkten, die den Faschismus und den Krieg hassten. Abgesehen davon, dass ich als Historiker später von der „Roten Kapelle“, der Verurteilung von Oberst Stauffenberg und seiner Freunde erfahren habe, hatte ich nach dem Krieg das Glück, mit überlebenden Mitgliedern der Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe persönliche Bekanntschaft zu schließen – mit Prof. Heinrich Scheel, mit solch selbstlosen Kämpfern und Häftlingen nazistischer Lager wie Franz Dahlem, Kurt Goldstein, Walter Bartel und vielen anderen.

Von Anbeginn meiner ersten Reisen nach Deutschland (60-er Jahre) war ich zu tiefst ergriffen von dem neuen Bewusstsein der Mehrheit der deutschen Jugend, ihrem Gefühl der Verantwortung und der Reue für das Unrecht, das ihre Nächsten anderen Völkern zugefügt haben. Ja, sogar unter den unmittelbar Beteiligten der Ereignisse  der 40-er Jahre traf ich nicht wenige Menschen, die ihr Leben neu bewerteten, ihre Taten während der Zeit der Herrschaft des verbrecherischen Regimes.

Wahrscheinlich wird es heute, im Juni 2001, wichtiger sein, in ihrer verehrten Zeitung und im Rahmen des Symposiums von russischen und deutschen Wissenschaftlern die Frage über die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern zu stellen.

Ich stelle mir vor, dass es zwischen unseren beiden Völker und ihren Regierungen notwendigerweise eine Garantie vor Schwankungen der politischen Temperatur geben müsste, frei von egoistischen Berechnungen einzelner Parteien und ihrer Führer, von unfreundlichen Kampagnen in den Massenmedien.

Und ich erlaube mir, hier meinen Traum auszusprechen. Ähnlich, wie sich vor 20 Jahren die Staatsmänner Deutschlands und Frankreichs bei den Überresten von Millionen gefallener Soldaten zweier Weltkriege auf dem Schlachtfeld von Verdun getroffen haben und feierlich die Versöhnung beider Völker proklamierten, so sind auch die politischen und psychologischen Bedingungen dafür herangereift, dass irgendwo im Osten Europas – in Brest, Wolgograd oder Franfurt an der Oder die Staatsoberhäupter des heutigen Deutschlands und des heutigen Russlands sich die Hände reichen und feierlich erklären, dass vor unseren Völkern nur ein Weg liegt – der Weg des Friedens und der Zusammenarbeit. 

Abschließend wünsche ich den Initiatoren und Teilnehmern des Berliner Symposiums Erfolg.

Moskau, 07.06. 2001 Prof. Dr. Ilja Kremer

Übersetzung (leicht gekürzt)  Dr. Lutz Prieß 

Gedanken zum 22.Juni 1941

An dem Tag als die Hitlerwehrmacht wortbrüchig die Sowjetunion überfiel, war ich, Jahrgang 1924, noch Zivilist. Zum Kriegsdienst verpflichtet durfte ich auf dem Flugplatz Großenhain beschädigte Flugzeuge zusammenflicken. Als linientreuer Hitlerjunge glaubte ich den faschistischen Propagandalügen von der Notwendigkeit und Richtigkeit des Überfalls auf die Sowjetunion. Ich sah nicht, dass dies den Anfang der Niederlage der faschistischen Wehrmacht bedeutete, glaubte immer noch an den „Endsieg“.

Im Oktober 1942 wurde ich Soldat und habe in der Ausbildung ausgiebig den „Dresdner Heller“ kennen und verfluchen gelernt. Im Mai 1943 ging es mit dem Truppentransport bis nach Orel, wo wir aber schleunigst die Gegenrichtung einschlagen mussten. Diesmal zu Fuß bis zur Auffanglinie vor Brjansk. Im August 1943 beendete dann eine Verwundung meinen Einsatz „für Führer und Reich“. Sie  hatte die Amputation des linken Beines zur Folge.

Als die Verwundung geschah, waren meine ersten Gedanken: Die verdammten Russen – wie können die mir das Bein abschießen? Bald kamen mir aber auch solche Fragen auf: Wieso eigentlich die verdammte Russen? Waren sie nach Großenhain – meinem Heimatort – gekommen? War es nicht vielmehr so, dass ich mit Stahlhelm und Gewehr in die Sowjetunion gefahren wurde? Zwar nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Befehl, wie Millionen andere deutsche Männer auch. Was hatte ich dort zu suchen ?

Tatsache bleibt doch: Hitler hat den Krieg nicht allein geführt. Millionen Deutsche waren beteiligt und jeder sollte seinen persönlichen Anteil daran selbst ermessen.

Bei der Suche nach meinem Anteil habe ich mich viel mit der Geschichte Russlands und der Sowjetunion beschäftigt. Auf mehreren Reisen in verschiedene Gebiete der Sowjetunion habe ich mich bemüht, das Land und die Menschen kennen zu lernen. Noch heute stehe ich mit einigen Freunden in Briefwechsel.

Ich habe für mich folgende Schlussfolgerungen gezogen:

Krieg ist kein Mittel, um politische, ethnologische, religiöse oder andere Konflikte zu lösen. Deshalb habe ich mich dem Protest gegen den Krieg in Tschetschenien angeschlossen – und habe Streit mit meinem Briefpartner in Syktywkar bekommen. Und ich verurteile die vom Dreigestirn Schröder/Fischer/Scharping so rührselig begründete und alle Warnungen missachtende Teilnahme der Bundeswehr an den Auseinandersetzungen in Kosovo und jetzt in Mazedonien.

Als persönliche Verpflichtung sehe ich an, mit für den Erhalt und die Pflege sowjetischer Ehrenmale zu sorgen.

                                                                                                                                     Rudolf Wünschmann